Die Freiheit der Zivilgesellschaft ist Kern unserer demokratischen Gesellschaft

Prof. Dr. phil. Michael Vilain

Fundraising Akademie gGmbH, 29.08.2025

Michael Vilain ist Professor und Vizepräsident für Forschung, Transfer und Internationales an der EH Darmstadt sowie Geschäftsführender Direktor des Instituts für Zukunftsfragen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft (IZGS). Er lehrt und forscht u.a. an den Universitäten Münster und Heidelberg seit mehr als 20 Jahren zum Thema Zivilgesellschaft sowie Management von Nonprofit Organisationen. Wir sprachen mit ihm über die Herausforderungen von Zivilgesellschaft und Wissenschaft in Deutschland.


Herr Professor Vilain, wer gehört eigentlich alles zur Zivilgesellschaft?

In einer sehr allgemeinen Vorstellung gehören dazu nur die knapp 600.000 Vereine in Deutschland. Aber dazu zählen auch Stiftungen, Teile der Genossenschaftsszene bis hin zu Initiativen, politische Neugründungen jeglicher Art, die vielleicht noch gar keine formale Struktur haben. Protestbewegungen gehören ebenso dazu wie grassroot movements, also Bewegungen, die quasi von unten entstehen, anlässlich irgendeines Geschehens, eines Missstandes oder einer politischen Entwicklung. Es gibt auch einen Unterschied zwischen Dritten-Sektor-Organisationen und zivilgesellschaftlichen Organisationen. Zum Dritten Sektor als einer eher volkswirtschaftlich und soziologisch gedachten Perspektive gehören vor allem die großen formalen Strukturen wie Verbände und Vereine. Zivilgesellschaft als eher politisches Konzept umfasst dagegen auch die gerade genannten informelleren, partizipativen Strukturen, die wir in der Demokratie aber unbedingt auch brauchen.

 

Protest, Mitarbeit, Beteiligung: Ich habe den Eindruck, das ist politisch immer weniger gewollt.

Das würde ich gern von zwei Seiten beleuchten. Manchmal geht es darum, Menschen zu helfen. Das ist dann gar nicht so politisch und Beteiligung ist hier meist erwünscht. Klar ist aber, wenn ich etwas bewegen und damit auch verändern will, muss ich auch das Verhältnis zum politischen Entscheidungssystem in den Blick nehmen. Wenn ich verändern will, kann ich das kooperativ tun, also gesellschaftliche Realität im Schulterschluss mit anderen Akteuren mitgestalten. Ich kann aber auch konfrontativ vorgehen. Das heißt, ich versuche mit hoffentlich rechtsstaatlichen Mitteln innerhalb des Rahmens der Verfassung Druck auf Entscheidungsträger auszuüben. Das ist völlig normal.

Das zeigt schon, Zivilgesellschaft lebt von einer gewissen Eigenwilligkeit, die auch nicht immer jedem gefallen muss. Das reicht von der umstrittenen Bürgerinitiative bis zum Klimaprotest. Protest ist eben auch eine Form der Willensäußerung, die allerdings nicht immer so kanalisiert ist, wie es politische Entscheidungsträger gerne hätten. Das passt nicht jedem und manche Reaktion seitens des Staates und Gesetzgebers ist erstaunlich unentspannt. Da kann der Eindruck schon entstehen, dass dieses Engagement ungewollt ist. 

 

Und die zweite Seite?

Ich glaube, es gibt auch auf Seiten der Bürgerinnen und Bürger eine Partizipationsmüdigkeit und zunehmend eine Akzeptanz einer Haltung, die sagt: ‘Ach, sollen sie doch machen, was sie wollen, Hauptsache, ich habe damit nichts zu tun’. Das ist gefährlich.

 

Ist die Zivilgesellschaft überhaupt noch unabhängig?

Ich sehe aktuell die Unabhängigkeit der Zivilgesellschaft zum Teil als gefährdet an. Wir erleben gerade einen wahnsinnigen Aufwuchs von staatlicher Aktivität, auch in Bereichen, wo die Zivilgesellschaft die Probleme lösen könnte. Ein Beispiel: Als 2014 immer mehr Flüchtlinge in Deutschland ankamen, waren die Kommunen vollkommen überfordert. Viele sind es auch heute wieder. Und dann haben Vereine und Initiativen das abgefangen, eine Willkommenskultur bereitet und sehr viel Arbeit übernommen. Heute ist das quasi alles re-kommunalisiert, obwohl man Teile davon ganz sicher auch in zivilgesellschaftlicher Hand hätte lassen können. Denn diese Organisationen sind schnell, sie können Ehrenamt motivieren und so zusätzliche Kapazitäten schaffen. Wir erleben gerade, wie ich finde, eine Vernachlässigung eines gravierenden Schutzgedankens, der in der Verfassung verankert ist, nämlich des Subsidiaritätsprinzips. Das sieht den Vorrang der jeweils kleineren Einheit vor der Größeren zur Lösung von Problemen vor und es formuliert gleichzeitig aber auch einen Anspruch, nämlich: Wenn die kleinere Einheit es nicht schafft, dann ist die nächstgrößere Einheit verpflichtet, einzuspringen.

 

Wie funktioniert das?

Also wenn ich persönlich mein Problem nicht gelöst bekomme, dann ist als erstes die Familie vielleicht die Nachbarschaft gefragt. Wenn die das nicht schaffen, dann Teile der Zivilgesellschaft. Wenn die es auch nicht hinkriegen, dann erst ist die Kommune in der Pflicht, dann das Land, dann der Bund. Das ist ein Prinzip, was ursprünglich aus der christlichen Soziallehre stammt und als Verfassungsprinzip anerkannt ist. Es schützt die Freiheit des Einzelnen und bettet ihn – im Gegensatz zu libertären Positionen – zugleich in das Gesellschaftssystem ein. Dieses Prinzip wird meiner Ansicht nach immer mehr untergraben , indem wir sehr starke staatliche Aktivitäten bis in kleinste Lebensbereiche haben. Auch bei der Förderung von Engagement. Natürlich ist es erst mal gut, dass wir Engagement fördern. Aber was, wenn damit nur bestimmtes Engagement gefördert wird, anderes Engagement unter den Tisch fällt? Dann entsteht eine Schieflage in der Gesellschaft und gleichzeitig auch eine wahnsinnige Einflussnahme, die zentral gesteuert eigentlich eine unabhängige Zivilgesellschaft ans Gängelband nimmt. Mehr oder weniger geschickt an der Stelle.

 

Eine solche Abhängigkeit macht dann auch angreifbar. Führt das auch Delegitimierung?

Das kann leicht passieren. Wir haben enorme Transferleistungen vom Staat in die Zivilgesellschaft. Gerade bei den Wohlfahrtsverbänden. Ist das jetzt schädlich oder nicht? Ich sage Jein! Einerseits ist es gut, dass Geldmittel zur Verfügung stehen. Der ganze Sozialbereich in Deutschland wäre ohne zivilgesellschaftliche Organisationen, wie die freie Wohlfahrtspflege, gar nicht denkbar. Das hat eine enorm staatsentlastende Wirkung. Das sind große Verbände, die im Zweifelsfall auch ihre Interessen politisch artikulieren. Schwieriger finde ich es, wenn bei politischen Demonstrationen der Eindruck entsteht, hier würden staatlich finanzierte zivilgesellschaftliche Organisationen für die Regierung demonstrieren. Der Eindruck, dass die Regierung hier sehr stark steuert, kann da schon entstehen.

 

Aber die Organisationen bekommen doch kein Geld für die Demonstration!

Das ist weitgehend korrekt. Es ist anders als bei autoritären Regimen, die ihre Claqueure auf die Straße schicken. Aber trotzdem entsteht durch die staatliche Förderung der Eindruck ferngesteuerter zivilgesellschaftlicher Organisationen. Das ist fatal. Wenn ich in der Sache etwas Gutes bewegen will, dann wäre es klug, das Thema aus der Mitte der Gesellschaft zu führen, ohne dass ich in irgendeiner Art und Weise staatlich beeinflusst bin. Ein gutes Beispiel ist für mich Greenpeace. Die nehmen keine staatlichen Mittel an und auch kein Geld von Konzernen, weil sie so unabhängig sind. Das ist die höchste Form der Legitimation. Als Verein muss ich aufpassen, dass die Annahme von Geldern nicht die Freiheit meiner Entscheidungen beeinflusst. Denn die Freiheit der Zivilgesellschaft ist doch Kern unserer demokratischen Gesellschaft. Klar ist aber auch, wenn ich nicht mehr so am Gängelband des Staates mitlaufen möchte, dann kriege ich halt auch keine Förderung mehr. Das ist ein zentrales Konstruktionsproblem im Verhältnis Staat und Zivilgesellschaft.

 

Nun würden aber bestimmt viele der NGO widersprechen und sagen, das eine ist die Förderung, das andere ist unsere politische Aktivität. Die Förderung ist ja für Projekte und darf auch nur dafür ausgegeben werden.

Das ist aber schon etwas künstlich. Hängt nicht auch von der staatlichen Projektfinanzierung ab, ob ich meine Mitarbeitenden weiter beschäftigen kann und besteht da wirklich keine Abhängigkeit vom Geldgeber? Ich kämpfe immer sehr dafür, dass wir eine möglichst unabhängige Zivilgesellschaft haben, auch als robusten Puffer gegen jede Art von Extremismus. Das, glaube ich, unterscheidet uns beispielsweise von einer Zivilgesellschaft in Russland, die es dort auch gibt, die aber eben auch im Wesentlichen staatlich alimentiert ist und sich vor allem auf soziale Dienste beschränkt. Deshalb müssen wir aufpassen, und uns nicht zu sehr vom Staat abhängig zu machen.

 

Sie sagen, dass die Bürgerinnen und Bürger partizipationsmüde werden und nannten das gefährlich. Hängt das vielleicht auch mit Algorithmen von Social Media zusammen, wo man schnell in Filterblasen den Eindruck bekommt, dass die eigene Meinung eine Minderheitenmeinung ist? Kommt es dadurch vielleicht zu einer Unsicherheit, wo man sich beteiligt?

Ja, definitiv. Social Media fördert die Schreihälse. Das erlebe ich auch bei vollkommen unpolitischen Themen. Wer schrill ist, wer laut ist, der hat die meisten Follower, der oder die setzt sich allzu oft durch. Ich glaube, durch Social Media spitzt sich auch die Emotionalisierung immer mehr zu. In der Vergangenheit hat uns da eine ausgewogene Medienlandschaft sehr gutgetan, um die Debatten zu versachlichen, zu ernüchtern. Doch heute erleben wir auch bei den klassischen Medien wie Print, Fernsehen, Radio, wie sie sich teilweise diesem Trend  anschließen, vielleicht auch um nicht selbst von der Bildfläche zu verschwinden. Die Polarisierung und Emotionalisierung von Themen führt dann mitunterdazu, dass die Kompromissflächen kleiner werden und dann nur noch auf moralischer Ebene argumentiert wird. Dann gibt es nur richtig oder falsch. Wir müssen aber inhaltlich debattieren und uns annähern, nur so entstehen Kompromisse. Ich glaube, dass unsere Kommunikationskultur derzeit eine gewisse Kompromisslosigkeit befördert.

 

Wie werden wir wieder kompromissfähiger?

Für die Zivilgesellschaft bedeutet dies vor allem, sich nicht am Spiel von Skandalisierung und Diffamierung zu beteiligen. Da braucht es vielleicht auch neue Formate. Es ist aber auch eine Kulturfrage. Die Herausforderung unserer Zeit ist es, nicht jeden Kompromiss gleich als Versagen einer Seite zu verstehen. Es gibt diese alte Redenswendung, dass ein guter Kompromiss sich dadurch auszeichnet, dass er beiden Seiten weh tut. Und ich glaube, wir sind nicht mehr so schmerzresistent, was das angeht. Ich stelle auch eine unheimliche Ungeduld fest. Vielleicht liegt das daran, das heute alles extrem schnell verfügbar ist. Informationen habe ich auf Knopfdruck. Man ist ja selbst oft ungeduldig. Wenn ich mir ein Video irgendwo im Internet ansehe und das kommt nicht nach einer  Minute auf den Punkt, klicke ich ja auch schon weiter. Und ich gehöre, glaube ich, zur älteren Generation, die an diesen Modus noch gar nicht so gewöhnt ist.

 

Welchen Einfluss haben zivilgesellschaftliche Institutionen auf Vertrauen in unserer Gesellschaft?

Leider stelle ich einen zunehmenden Verfall von gemeinschaftsstiftenden Narrativen fest, und das hat auch etwas mit dem Zustand zivilgesellschaftlicher Organisationen und Medien zu tun. Früher, also vor einigen Jahrzehnten, gab es weniger Medien, die Mehrheit der Menschen war kirchlich geprägt. Wir hatten große Institutionen, die dazu beigetragen haben, dass wir trotz Auseinandersetzungen und Konflikten im Detail recht breit akzeptierte  Narrative hatten. Ich kann mich noch erinnern, wenn Wetten das?! abends im Fernsehen lief, dann war das am nächsten Tag Gesprächsthema für alle in der Schule. Das finden sie heute kaum mehr. Die Narrative waren sich ähnlich. Heute zerfallen sie stärker. Aber Narrative sind wichtig, um Institutionen zu stützen. Das Problem reicht jedoch tiefer. Jedes Narrativ, stellt in gewisser Weise eine Vereinfachung dar und die kann man widerlegen und die Widerlegung kann im Rahmen von Social Media eine ungemeine Reichweite erzielen. Beispielsweise: Kirche schafft Werte. Ja, ist das so? Und dann habe ich einen Missbrauchsskandal, dann frage ich: ‘Ja, wo sind denn da die Werte?’ Und schon ist der Vertrauensbruch da. Und das kann ich mit jeder Großinstitution quasi so durchdeklinieren. Ob das jetzt durch eine Lüge, ein Verdrängen oder ein zu dem Zeitpunkt noch gar nicht vorhandenes Wissen passiert ist, ist dafür unerheblich. Das Narrativ verschwindet und damit auch ein Stück Sicherheit und Vertrauen.

 

Muss die Zivilgesellschaft also wieder gemeinsame Narrative finden? Können dem unsere aktuellen Vereine, Stiftungen, NGOs auch gerecht werden?

Das Problem ist der Zerfall in immer kleinere Subeinheiten. Alles differenziert sich aus. Ich finde den Begriff der Bubble da ganz treffend Wie viele Mitglieder hatten Gewerkschaften oder Kirchen vor dreißig Jahren? Wie viele Mitglieder hatten Großverbände? Da sieht man bereits einen ganz klaren negativen Trend. Es wurde auch gesagt, das freiwillige Engagement stünde vor dem Aussterben. Das hat sich so nicht bewahrheitet. Aber die Klagen waren schon berechtigt, weil besonders die großen Verbände Mitglieder und Engagierte verlieren und die kleinen Organisationen mit Spezialthemen immer mehr Zulauf haben. Das Problem ist aber, dass diese kleinen NPOs in der Fläche gar nicht wahrnehmbar sind. Das heißt, das gemeinsame Finden von Narrativen ist deutlich erschwert. Es reicht heute nicht mehr, dass die Vertreter der größten Verbände und Organisationen im Austausch mit Politik stehen ‘und je nach weltanschaulicher Positionierung ein oder zwei (vielleicht sogar gegensätzliche) „Groß-Narrative“ entwickeln und verbreiten. Jeder kann sich dann leicht einem Narrativ zuordnen. Das funktioniert nicht mehr so richtig.

 

Der Runde Tisch hat also ausgedient?

Ich glaube, das liegt auch daran, dass unsere Kompromissfindung immer weniger im korporatistischen Rahmen, wie wir es traditionell in der Bundesrepublik hatten, sondern in pluralistischen Settings stattfindet. Korporatismus bedeutete Runde Tische, wo dann beispielsweise Arbeitgebervertreter und Gewerkschaften zu einem Problem mit der Politik an Bord geholt wurden, oder auch Kirchen und Sozialverbände. Diese Aushandlungsringe vertreten immer weniger Menschen und decken auch immer weniger Fläche kommunikativ ab. Einerseits ist das gut, weil diese Großinstitutionen auch viel Macht hatten. Ich erinnere mich noch an Wahlempfehlungen von der Kirchenkanzel.. Aber es ist auf der anderen Seite auch ein Problem, weil wir heute in pluraleren Settings ganz andere Instrumente bräuchten als runde Tische. Die Frage ist, wie organisieren wir die heterogenen Lebensrealitäten oder Bubbles der Menschen, sodass sie sich noch vertreten fühlen.

 

Und was ist mit der Wissenschaft als unabhängige Institution? Wenn wir auf die Wissenschaft in den 1980er Jahren gehört hätten, wäre das Klimaproblem vielleicht geringer.

Das ist eine sehr gute Frage. Wo positioniert sich Wissenschaft? Die großen Teile der Universitäts- und Hochschullandschaft in Deutschland sind staatlich organisiert und auch staatlich finanziert. Insofern ist das Postulat der Freiheit der Wissenschaft und auch der Kunst sehr wichtig, gerade weil sie so stark staatlich finanziert sind. Denn Wissenschaft ist kein Wunschkonzert. Das kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Es gefällt nicht jedem, was man herausfindet und was man dann sagt. Wissenschaft eckt an.

 

Aber tut sie das wirklich noch? Zeigen abgesagte Diskussionen zu kontroversen Themen an Hochschulen nicht auch, dass es in der Wissenschaft auch eine Haltung gibt, nicht anzuecken? Ich erlebe leider zunehmend, dass Kolleginnen und Kollegen auch manchmal Angst haben sich zu äußern. Da höre ich: „Wenn ich das sage, dann passt das gerade nicht in die Debatte rein oder ich werde dann einer falschen Strömung zugeordnet, obwohl die Faktenlage so ist.“ Es ist eine Gefahr der Politisierung von Wissenschaft, die ich mit großer Sorge sehe. Das ist sicher auch eine Frage der Positionierung von Wissenschaft als Teil der Gesellschaft. Verstehe ich mich als Verteidigerin der Demokratie? Oder analysiere und präsentiere ich Fakten? Das ist ja, was viele von Wissenschaft erwarten. Also das kann man nicht immer konfliktfrei abliefern, weil man natürlich ein Systembestandteil ist. Und als Systembestandteil habe ich auch eine Systemlogik, die inhärent ist. Und ich habe natürlich kein Interesse, das Wissenschaftsfreiheit von irgendeiner Seite angegriffen wird. Warum? Weil ich weiß, dass Wissenschaftsfreiheit ein hohes Gut ist, ohne das Forschung langfristig nicht denkbar ist. Also bin ich schon quasi politisch auf einer bestimmten Positionierung, die vielleicht vor 20 Jahren noch irrelevant, aber heute hochpolitisch ist. Im Moment, glaube ich, beantworten viele Kollegen diese Fragen für sich selbst individuell und nicht so sehr als Systemfrage.

 

Das kann aber auch gefährlich sein. Wir sehen ja, wie in den USA nach reaktionären Playbooks gerade die Freiheit von Wissenschaft, Medien und Kunst angegriffen wird. Das kann in den Extremismus führen.

Und gerade deshalb müssen wir Verfassungsprinzipien wie das Subsidiaritätsprinzip, aber auch Wissenschaftsfreiheit, Kunstfreiheit auch aus wissenschaftlicher Sicht verteidigen – auch gegen gutmeinende paternalistische Eingriffe. Als Staatsbürger, als Vertreter dieses Systems Wissenschaft habe ich eine gewisse Verpflichtung, zu versuchen, die Debatte zu objektivieren, zu versachlichen und zu vernüchtern. Ich habe oft Gespräche mit Politikern geführt, und da ist es dann häufig so, dass die eine ganz einfache, knackige Antwort wollen, mit der sie dann weitermachen können. Und das kann Wissenschaft oft nicht liefern. Gerade in diesen hochemotionalisierten Auseinandersetzungen liefern wir meist ungewollt Munition für verschiedene Seiten.

 

Warum muss das denn immer so kompliziert sein?

Weil die Welt kompliziert ist. Und es ist nicht meine Aufgabe, das zu einer politischen Botschaft zu vereinfachen und den Menschen nahezubringen. Sondern es ist Aufgabe der Politik, das zu tun und der Medien. Natürlich versuchen wir schon, uns so leichtgängig wie möglich auszudrücken. Aber, wir können selten sagen: ‘Ja, das ist schwarz oder weiß.’ Sondern es ist oft grau. Das macht es doch auch manchmal schwierig, habe ich festgestellt. Da sitzen hochgescheite Leute, die verstehen auch, was man will. Aber sie können manchmal nichts damit anfangen, habe ich den Eindruck. Vielleicht ist das auch noch mal Anlass zur Selbstkritik. Vielleicht müssen wir auch anders abliefern und die Verbindung von Forschung und Transfer anders denken.